Ist Tourismus mit Klimaschutz vereinbar?

Ich bin gelernte Reiseverkehrskauffrau. Heute nennt sich das Tourismuskauffrau. Der Job ist nicht besonders gut bezahlt; macht aber viel Spaß. Ich habe gelernt, wie man den Menschen Erholung verkauft. Ich habe gelernt, wie man noch mehr Umsatz machen kann. Ich habe gelernt, wie man am Preiswertesten verreisen kann. Ich habe gelernt, dass man von mir erwartet, dass ich nahezu jedes Ziel persönlich kenne oder mich trotzdem gut auskenne, wenn ich selbst nicht dort gewesen bin. Ich habe gelernt, wie die Kunden eine 7-tägige Flugreise ans Mittelmeer für schlappe 350€ in einem guten Hotel mit all-inclusive bekommen können.

Ich habe jedoch nie gelernt oder mir gar Gedanken gemacht, was es für andere Menschen und die Umwelt bedeutet, billig zu verreisen. Ich habe nicht die Schattenseiten des Kreuzfahrt-Tourismus, der all-inclusive-Verpflegung und der Billigflieger betrachtet – bis Anfang 2018. Es kam der Punkt, an dem ich Schritt für Schritt alles überdachte. Von der Ernährung über die Lebensweise, vom Konsum bis hin zu meinem Job.

Es gab Momente, in denen ich kündigen wollte, weil ich es einfach nicht mehr ertragen konnte. Plötzlich wurde die ursprüngliche Freude über einen Buchungsabschluss von Sorgen begleitet, ob diese Art der Reise denn nun wirklich notwendig gewesen wäre. Eine einzelne Reise ist sicher nicht gerade schlimm, aber der Billig-Tourismus weltweit schon. Für fünf Tage zum Christmas-Shopping nach New York oder für ein bis zwei Tage den Junggesellen-Abschied auf Mallorca feiern – ist das wirklich notwendig? Kopfzerbrechen bereiten mir besonders Kundenwünsche wie ‚ich habe neun Tage Zeit und möchte gerne eine Karibik-Kreuzfahrt machen‘. Erst der Flug, der schon unglaublich viel CO2 kostet und danach noch die Fahrt auf der schwimmenden Kleinstadt… Mir kommt dann gleich die Karte in den Sinn, die anzeigt, wie viele Schiffe oder wie viele Flugzeuge derzeit auf der Erde unterwegs sind. Das ist wirklich erschreckend; schaut euch das mal an…

Ultrafeine Partikel können die Atemwege schädigen und ins Blut gelangen

Dieser Zwiespalt war für mich grausam. Auf einmal habe ich alles infrage gestellt. Ich war dennoch finanziell auf den Job angewiesen, die Nähe des Büros ist ideal und die Arbeitszeiten hätten nicht praktischer mit dem Familienalltag übereinstimmen können. Dennoch konnte ich nicht mehr so unbeschwert verkaufen, wie früher. Und natürlich fiel meiner Chefin die Veränderung auf. Nur was tun? Von heute auf morgen zum ‚Öko‘? Und das im Reisebüro?  

Hinzu kamen Sprüche von Bekannten wie ‚Du lebst doch jetzt nachhaltiger – dann darfst du ja auch nicht mehr im Reisebüro arbeiten‘.  Zunächst hat mich diese Aussage erbost, denn: wie stellten sie es sich vor? Aufhören zu arbeiten und auf Sozialhilfe angewiesen sein, weil kaum ein Arbeitgeber es möglich macht, sich seine Arbeitszeiten praktisch auszusuchen?

Ich war gefangen in dieser Zwickmühle. Dennoch hat mich gerade diese Aussage darin bestärkt, weiter zu machen und nicht in ein Loch zu fallen. So habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich in meinem Job das Bestmögliche tun kann, um auch den einen oder anderen Kunden mitzuziehen und zu begeistern. Eine Kündigung meinerseits hätte nämlich nur zur Folge gehabt, dass jemand anderes meine Stelle besetzt, der/die sich null Gedanken über die Zukunft macht. Also: Ärmel hoch.

Als Erstes musste ich meine Chefin überzeugen, dass ich ihr Lebenswerk nicht zerstören will, jedoch die Zeit für eine Veränderung reif ist. Veränderungen passieren nicht von heute auf morgen, aber jetzt, nach über einem Jahr, hat sich einiges im Büro getan. Wir haben die Kataloge auf ein Minimum reduziert und statt 20-30 Stück von jedem Veranstalter und jedem Zielgebiet jetzt nur noch maximal 5 Stück – und einige haben wir gar nicht mehr als Printausgabe. Wenn es draußen hell genug ist, bleibt im Büro immer das Licht aus. Wir drucken nur noch das Nötigste und mittlerweile auch auf Recyclingpapier. Aber vor allem macht es mich glücklich, dass wir jetzt mit nachhaltigen Veranstaltern zusammenarbeiten und diese auch unseren Kunden anbieten können.

Beim Verband für nachhaltigen Tourismus Forum Anders Reisen bieten nachhaltige und zukunftsorientierte Reiseveranstalter außergewöhnliche Reiseerlebnisse an. Fairness dem Mensch und der Natur gegenüber sind ein zentraler Punkt dieser Plattform.

Ich persönlich möchte nicht mehr Teil dieser überflüssig veranstalteten Reisen sein. Ich fliege nicht mehr für einen Tag nach Mallorca, um mit dem Bus über die Insel zu jetten und mir drei Hotels anzusehen. Solche Trips werden Reisebüromitarbeitern kostenfrei angeboten, um sich weiterzubilden. Ist das nicht völlig verrückt?

Nein, ohne mich. Ich bewerbe mich jetzt nur noch für umweltfreundliche Inforeisen. Auf die Schnelle lernt man sowieso nichts richtig kennen. Reisen – nicht hetzten – dann bleiben die Eindrücke auch besser hängen und vor allem bleibt die Erholung dabei nicht auf der Strecke. So war ich eine Woche zum Wandern und Radfahren in Irland und vier Tage mit der Bahn in der Schweiz. Vor Ort dann unterwegs mit Fahrrad, Bus, Bahn und zu Fuß – es war traumhaft!  Und das hätte ich nie gedacht, denn ich war selbst immer der klassische All-inclusive-schicki-micki-Clubhotel-Urlauber.  

Ich denke mittlerweile anders. Alles braucht Zeit und perfekt werde ich nie sein können, aber das ist auch nicht mein Anspruch. Was mich selbst freut ist, dass ich endlich begriffen habe, dass ich so viel dazu beitragen kann, die Schönheit der Erde zu erhalten, ohne komplett aufs Reisen verzichten zu müssen. Ich möchte nicht nur nehmen, sondern auch etwas zurückgeben – und ich sehe meine Aufgabe darin, dasselbe an meinem Arbeitsplatz weiterzugeben.

Das heißt nicht, dass ich nie wieder fliegen werde. Aber ich suche mir meine Flugreise mit Bedacht aus. Und es muss auch nicht mehr jedes Jahr eine Flugreise sein, wie ich finde. Weniger oft fliegen, dafür länger vor Ort bleiben. Anstatt zwei Mal eine Woche im Jahr zu fliegen, bevorzuge ich eine längere Reise alle zwei Jahre.

Zudem – was ich 2018 auch noch nicht wusste – kann jeder Passagier seine Flugreise kompensieren. Und genau das möchten wir auch unseren Kunden im Reisebüro zeigen. Denn bevor ein Kunde auf seine Flugreise verzichtet, würde er wahrscheinlich eher ein paar Euro mehr bezahlen, um den CO2-Verbrauch auszugleichen. Das ist super und ein erster sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung, denn so wird ein Bewusstsein für klimafreundlicheres Reisen erschaffen.  Mit nur 17€ für einen Hin- und Rückflug Hamburg-Mallorca-Hamburg kann der Flug von über 700kg CO2 pro Person auf atmosfair.de kompensiert werden.

Atmosfair ist eine Klimaschutzorganisation mit dem Schwerpunkt Reise und betreibt aktiven Klimaschutz mit der Kompensation von Treibhausgasen durch erneuerbare Energien.

Kian mit Johanna und Bernhard von atmosfair

Klar, in erster Linie ist es sinnvoll, CO2 zu vermeiden. Für viele Menschen ist das jedoch nicht denkbar, nie wieder fliegen zu dürfen. Allerdings hilft es schon, sich darüber zu informieren, wie man den Verbrauch zumindest reduzieren kann. Wenn sich der Flug zum Beispiel beruflich nicht vermeiden lässt, ist die Kompensation und die finanzielle Unterstützung von Klimaschutzprojekten der beste Weg.

Wohin ging dein letzter Flug? Teste doch mal hier CO2-Rechner.

Ein Hin- und Rückflug von Frankfurt nach New York kostet pro Person über 3600 kg CO2 – das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen beträgt jedoch nur 2300kg. Hättest du gewusst, wie sich dein Flug auf das Klima auswirkt?

Ohne dieses Jahr geflogen zu sein, habe ich dennoch kompensiert. Anlass dazu war der Geburtstag meiner besseren Hälfte. Man schenkt sich in der Partnerschaft am Anfang ja noch ‚große‘ Dinge. Später sucht man dann verkrampft nach Geschenken, die man glaubt zu brauchen, bzw. die der Partner brauchen könnte. Aber irgendwie wollte ich zum eigentlichen Geburtstagsgeschenk noch etwas anderes schenken. Ich habe nach etwas Sinnvollem gesucht – und auf atmosfair gefunden: ein Holzvergaser-Ofen! ? Wir selbst benötigen zwar keinen, aber dafür Familien in Indien. Mit dieser Spende bzw. mit dem Zertifikat konnte ich Jens ein Lächeln ins Gesicht zaubern und einer Familie zu gesünderem Kochen und etwas mehr Geld verhelfen. Es fühlt sich so schön an, Gutes zu tun. ?

Und wo ich gerade von ‚schön‘ schreibe: wie schön die zehnstündige Bahnfahrt in die Schweiz doch war! Ich schwelge in Erinnerungen. Vor zwei Jahren hätte ich mich nicht im Traum für solch eine Inforeise beworben. Ich bin (oder war) absolut keine Bahnfahrerin. Doch diese Bahnfahrt hat so viel verändert. Die Menschen, die ich kennengelernt habe, die Natur und die Orte, die ich gesehen habe, sind mir so positiv in Erinnerung, dass ich selbst jetzt beim Schreiben noch grinsen muss.

Hinzu kommt, dass ich positiv überrascht war, dass es möglich ist für schlappe 39€ mit einem Sparpreisticket der Bahn von Norddeutschland in den Süden der Schweiz zu fahren. Ich habe noch einen Zwischenstopp im wunderschönen Freiburg (Breisgau) eingelegt und dort übernachtet. So war bereits die Anreise absolute Erholung für mich. Von Freiburg war ich wirklich positiv überrascht, denn die Stadt ist ein Paradies für Menschen, denen zero waste, pflanzliche Ernährung, unverpackt – und das alles verhältnismäßig preiswert – am Herzen liegt.

Ich habe durch die Bahnreise die Schönheit der Nahziele (wieder) entdeckt und kann wirklich jedem empfehlen, das mal auszuprobieren und einfach mal Pause von der Flugreise zu machen ?

In meinem und unserem Familienleben hat sich seit Anfang 2018 viel getan. Und auch, wenn der Weg manchmal steinig erscheinen mag, fühlt er sich richtig und gut an. Es ist für mich eine Bereicherung, diese Persönlichkeitsentwicklung durchzumachen und täglich Neues zu lernen und nicht bequem mit dem Strom zu schwimmen. Vor allem, nach neuen Wegen zu suchen, abseits der Trampelpfade, abseits der Massen. Es macht so viel Spaß und es ist unglaublich schön, andere Menschen zu inspirieren und zu sehen, wie sie neugierig werden, ihre Scheuklappen ablegen und ebenfalls nach links und rechts schauen. Klimaschutz kann wirklich Spaß machen – und hilft jedem einzelnen auf dieser Erde! ?

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